Venedig hat viele Probleme: steigendes Wasser, steigende Mieten, steigende Touristenmengen. Aber es hat auch eine Lösung für alles, was zu viel ist: Cicchetti – Venedigs Antwort auf Tapas, Pintxos und was auch immer der Rest der Welt unter „klein aber oho“ versteht.
Keine hupenden Autos, keine hektischen Radfahrer, keine Straßen mit klaren Regeln. Stattdessen: Gassen, die ins Nichts führen, Brücken, die du fünf Minuten später schon wieder überquerst, und Kanäle, die dich ausbremsen, weil du nicht einfach geradeaus laufen kannst. La Serenissima – ein schwieriges Labyrinth in vielerlei Hinsicht.
Kurzurlaub in Venedig

Denn seien wir ehrlich: Vor allem Essen in Venedig kann schwierig sein. Die Stadt hat ein Touristenproblem und viel zu oft landest du in einem völlig überteuerten Restaurant (inkl. selbst definierter Servicecharge aka Trinkgeld im zweistelligen Prozentbereich) mit bestenfalls mittelmäßigem Essen. Ein Trauerspiel für die echten, guten Gastronomen der Stadt.
Und die gibt es in Venedig zum Glück noch – gerne abseits der Touristenpfade haben wir die bei unserem Aufenthalt tatsächlich auch gefunden und wie Gott in … Italien gespeist. Klar, auch da ist es definitiv nicht günstig, aber Qualität und Service stimmen.
Allerdings gelang uns das – nach einem ziemlichen Fehlversuch am ersten Abend – nur mithilfe der Empfangsherren unseres Hotels, dem Bel Sito e Berlino, das wir dir übrigens wirklich empfehlen können: charmanter Vendig-Stil, gut, aber dabei ruhig gelegen und mit tollem und freundlichem Service. Und – nein, ich bekomme keine Provision, wir waren wirklich sehr begeistert.
Und wenn wir schon bei – weiterhin provisionsfreien – Empfehlungen sind: Wenn du in Venedig unterwegs bist, schlängel dich durch die engen Gassen hinter dem Markusplatz zu Al Conte Pescaor. Ein tolles Restaurant – mit einem wunderbaren Chef, der sich mit seinem Team wirklich um seine Gäste kümmert und ein exzellenter Koch ist. „Al Conte Pescaor“ hat mit seinen Fischgerichten und seinem Risotto maximal überzeugt. Das beste Risotto, das ich je hatte – und ich hatte einige.
Und Cichetti? Sie sind ganz anders: eine Einladung, eine andere entspannte Seite von Venedig zu erleben. Statt Sightseeing-Marathon heißt es treiben lassen, Gassen erkunden, einfach irgendwo stehen bleiben, wo es gut riecht, und einen Happen essen.
Sie sind das Gegenteil von Fine Dining – und doch oft verblüffend subtil. Eine Scheibe Brot mit einer kräftigen Creme, ein winziger Löffel marinierter Artischocke, ein Stückchen Polenta mit Belag. Mehr braucht es nicht, um zu zeigen, was möglich ist, wenn man gute Zutaten mit Ideen statt Aufwand kombiniert.
Und ja, sie sind berühmt für Sardinen, Polenta mit Stockfisch oder halbe Eier mit Anchovis. Also … warum sollte sich jemand, der Pflanzen, Kräuter und Gewürze bevorzugt, überhaupt für diese Miniatur-Mahlzeiten interessieren?
Ganz einfach: Weil sie ein faszinierendes Format sind. Und weil sie genau das verkörpern, was unsere pflanzenbasierte Küche immer gebrauchen kann: Kreativität in kleinen Portionen.
Cicchetti – Ein kulinarisches System, nicht nur ein Snack



Sie sehen aus wie harmlose Häppchen: ein bisschen Brot, ein bisschen Belag, ein Klecks hiervon, ein Tupfer davon.
Cicchetti (ausgesprochen tschi-KET-ti), sagen die Venezianer, und schieben sich genüsslich den nächsten Miniaturgenuss zum Glas Wein oder zum Spritz in den Mund. Für sie ist es Alltag. Für uns? Ein Pinterest-Traum mit Tendenz zur Küchenkrise.
Denn was auf dem Teller leicht aussieht, ist in der eigenen Küche oft eine logistische Großtat: zu viele Zutaten, zu wenig Esser, alles zu schnell welk, weich oder aus dem Takt.
Und trotzdem: Cicchetti faszinieren. Sie sind charmant, variabel – aber auch ideal für die pflanzenbasierte Küche?
Bevor wir in die Frage eintauchen, ob und wenn, wie sich diese kleinen Geschmackspakete in unseren Alltag schmuggeln lassen, lohnt ein Blick zurück: Woher kommen Cicchetti eigentlich – und warum essen sie sich in Venedig so viel leichter?
Was macht Cichetti so besonders?
Venedig hat viele Probleme, aber Hunger gehört selten dazu. Wer sich zwischen Rialto-Markt und der Ponte dell’Accademia verliert, landet früher oder später an einer kleinen rustikal anmutenden Theke oder einem bàcaro – einer kleinen, oft etwas abgewetzten Weinbar – mit einer erklecklichen Auslage verschiedenster kleiner Leckereien im Schnittchen-Format. Das ist der natürliche Lebensraum der Cicchetti.
Der Begriff kommt vermutlich vom lateinischen ciccus – „eine Kleinigkeit“ , und genau das sind sie: kleine, meist auf Brot oder Polenta servierte Häppchen, gedacht als Begleiter zum Wein, zur Pause, zum Klönen.
Aber dahinter steckt mehr als nur eine kulinarische Laune. Die Cicchetti-Kultur ist ein Produkt der Stadtgeschichte selbst: eng, feucht, geschäftig – mit wenig Platz für ausufernde Essensrituale. Also isst man im Stehen, in Etappen, verteilt über den Tag. Alles, was sich auf einer Serviette balancieren lässt, ist potenziell Cicchetto-würdig.
Die venezianische Küche nutzt dafür natürlich Fisch – allen voran Sardinen und die legendäre Stockfischmousse baccalà mantecato (eine meiner wenigen Fisch-Ausnahmen – yummi), saisonale und regionale Zutaten, aber auch Reste: Frittiertes, Eingelegtes, Aufgestrichenes – alles, was sich vorbereiten und variieren lässt, ist willkommen.
Dazu ein Glas ombra, ein Rot- oder Weißwein. Ursprünglich im Schatten bzw. dem Lauf des Schattens des Campanile, des Markusturm, ausgeschenkt. Heute darf es auch gerne ein Spritz – das venezianische Mischgetränk aus Prosecco oder Weißwein mit Mineralwasser und einem Likör (Aperol, Campari oder Limoncello) sein.
So wurde aus der Not ein Ritual, aus dem Ritual eine Lebensart.
Heute sind Cicchetti immer noch ein Lebensgefühl – und auch ein verdammt praktisches Konzept für alle, die sich durch Venedig treiben lassen.
Ein cleverer Umgang mit Zeit, Platz und Appetit – serviert in Bissen, nicht in Gängen. Und genau deshalb so faszinierend.
Welche Cicchetti gibt es …
In der venezianischen Praxis gibt es keine vorgeschriebene Liste von Cicchetti – sie entstehen eher aus einem eigenen kulinarischen Baukasten: Brot oder Polenta, Creme, Eingelegtes, Frittiertes, Aufgespießtes.
Sie können warm oder kalt sein, und es gibt kaum Zutaten, die nicht verwendet werden können.
Die bekanntesten einer schier endlosen Liste sind sicherlich:
- Baccalà mantecato – die oben bereits erwähnte Creme aus Stockfisch
- Sarde in saór – marinierte Sardinen mit Zwieben, Pinienkernen, Rosinen und Lorbeer sowie
- Polpette – frittierte Bällchen aus Fisch, Fleisch oder Gemüse
Und wem das noch nicht genug ist: Auf geröstetem Brot werden sie zu Crostini, mit Weißbrot in dreieckiger Form zu Tramezzini.
Cicchetti sind nicht von Natur aus pflanzenbasiert – aber sie sind wandlungsfähig.
… und was geht pflanzlich?
Aufstriche & Cremes
Bohnencremes, Auberginenpasten oder Linsenaufstriche ersetzen traditionelle Fisch- und Leberaufstriche mit Leichtigkeit – geschmacklich wie textural.
Tipp: Etwas Räuchersalz, Paprika oder Misopaste gibt eine Note dazu, die an Sardellen oder Speck erinnert.
Mariniertes & Eingelegtes
Pilze, Fenchel, Schalotten oder sogar Radieschen machen sich in süß-sauren oder zitrisch-scharfen Marinaden hervorragend.
Die Marinade ist der Star. Gemüse, das gut die Textur hält, kann sich darin aromatisch aufladen.
Tipp: Pickles lassen sich auch anderweitig hervorragend kombinieren – daher können sich ein paar Gläser auf Vorrat lohnen.
Frittierte Happen
Reisbällchen, Linsenpuffer oder frittierte Gemüsestreifen – außen knusprig, innen weich. Frittieren ist die venezianische Antwort auf alles und bietet auch in der pflanzlichen Küche eine Möglichkeit, Textur zu zaubern.
Tipp: Backofen oder Heißluftfritteuse statt Fettbad.
Spieße, Schnittchen & Mini-Salate
Mit Oliven, gegrilltem Gemüse, getrockneten Früchten, Tofu-Würfeln oder kleinen Kräutersalaten wird aus Resteverwertung ein Fingerfood-Fest. Alles, was sich spießen lässt, darf mitmachen.
Tipp: Reste von Bowls oder Beilagensalaten können in dieser Form „vercicchettisiert“ werden.
Polenta – warm oder gegrillt
Gegrillt, gebraten oder als cremige Basis – mit Kräuterbohnen, Chili-Pflaumen-Chutney oder Walnusscreme.
Ihre neutrale Textur verträgt alles von mild bis brachial aromatisch.
Tipp: Ja, sie ist ein bisschen eigensinnig beim Abkühlen. Aber: Abends gemacht, kann sie über Nacht einfach fest werden. Dann in Scheiben schneiden, anbraten – fertig ist die Goldplatte für deine Miniaturen.
Kleine Happen und große Vorbereitungsprobleme


Wer sie in Venedig an der Theke sieht, denkt: „Das mache ich auch mal!“
Wer es zu Hause versucht, denkt: „Warum habe ich jetzt fünf halbleere Döschen und drei Aufstriche, die niemand mehr essen will?“
Das Grundproblem: Aufwand und Reste
So charmant das Cicchetti-Format auch ist – kulinarisch wie gesellschaftlich – es hat einen ganz praktischen Haken: die Vorbereitung.
Denn Miniportionen bedeuten nicht automatisch weniger Arbeit. Im Gegenteil: Wer zehn verschiedene kleine Bissen zaubern will, muss unter Umständen zehnmal schneiden, würzen, abschmecken, anrichten.
Und das kann schnell ausarten – besonders, wenn man nicht für zwanzig Leute kocht, sondern für zwei. Oder einen.
Ein weiteres Problem: die Verwertung.
Für ein paar knusprige Crostini mit Petersilie-Kapern-Öl braucht’s frische Petersilie, eingelegte Kapern, gutes Olivenöl – aber was passiert mit dem Rest, wenn man nur drei Crostini macht?
Kurz: Cicchetti sind toll – wenn man sie kauft oder für viele macht. Zu Hause, stressfrei und pflanzenbasiert, braucht es eine andere Herangehensweise.
Die Lösung: Planung und Vorbereitung
Cicchetti umzusetzen heißt nicht, eine venezianische Bar nachzubauen. Lieber in der Profiküche abschauen: Mise en Place ist das Zauberwort, aber auf Kühlschrankniveau.
- Basisaufstriche mit Varianten denken: Statt drei verschiedene Dips zu machen, lieber einen flexiblen Aufstrich herstellen – z. B. weiße Bohnen mit Knoblauch – und diesen dann teilen und mit verschiedenen Kräutern, Gewürzen oder Toppings aufpeppen: mal Zitronenabrieb und Minze, mal Harissa und geröstete Mandeln, mal Kurkuma und Kreuzkümmel.
- Zutaten mehrfach verwenden, aber anders: Frischer Koriander? Einmal fein hacken für eine Creme, einmal als Topping auf ein mariniertes Gemüse, einmal in Öl pürieren. So wird aus einer Handvoll Kräuter gleich ein Trio.
- Vorratsschrank nutzen, statt frisch einkaufen: Gerade Gewürze, eingelegte oder getrocknete Zutaten (Oliven, Tomaten, Artischocken, Kapern, Senfsaat) machen Mini-Gerichte spannend – ohne dass gleich was verdirbt. Die leben lang und lassen sich spontan kombinieren.
- Bausteine statt Einzelkunstwerke: Statt zehn verschiedene Cicchetti zu basteln, lieber drei Grundkomponenten vorbereiten, die sich auf verschiedene Träger verteilen lassen: etwa ein Ofengemüse, ein würziger Aufstrich, ein frisches Kraut. Daraus werden dann im Mix mit Brot, Polenta oder Cracker locker sechs bis acht Varianten – ohne mehr Stress.
- Minimalismus ist erlaubt – und sogar stilvoll: Ein Stück gegrillte Zucchini auf Brot, mit einem Tropfen Zitronenöl und Dill? Reicht. Muss nicht immer Turm und Tamtam sein. Die Reduktion aufs Aroma ist das, was Cicchetti eigentlich ausmacht.
Und dann musst du „nur“ noch zusammenbauen. Bei mir die Krux. Ich bin Team Ungeduld. Kreatives Basteln war noch nie meine Stärke, und ich schiebe diese Arbeiten zu gerne ab.
Aber bei Cicchetti darf es etwas rustikaler sein, daher – passt schon.
Die fünf Grundbausteine
Wichtig: Denk nicht in Gerichten. Denk in Komponenten.
1. Aufstrichbasis – neutral, wandelbar, vorbereitbar
Beispiel: weiße Bohnen mit Olivenöl, Zitronensaft und einer Prise Knoblauch
2. Mariniertes Gemüse – säurebetont, würzig, knackig
Beispiel: Rote Bete mit Essig, Chili und Minze, oder Fenchel mit Orangenabrieb und Estragon
3. Ofengemüse – weich, süßlich, aromatisch
Beispiel: geröstete Karotten mit Kreuzkümmel, Kürbis mit Zimt und Thymian
4. Crunch & Strukturgeber – Textur, Tiefe, Kontrast
Beispiel: geröstete Sonnenblumenkerne mit Paprika, gebackene Wirsingchips, knusprige Kichererbsen
5. Kräuter, Gewürzöle, Zesten – Frische, Aromakick, visuelles Finish
Beispiel: Zitronenzesten, Petersilienöl, geriebene Muskatnuss über einem Püree
Diese Komponenten lassen sich vorkochen, vorbereiten und dann frei kombinieren.
Du baust dir keine Snacks – du baust dir eine Art kulinarische Lego-Kiste. Und die kannst du je nach Lust, Saison und Kühlschranklage neu zusammensetzen.
Erinnert mich an die 5-Elemente-Küche und ja, auch hier bei unseren Cicchetti ist die Balance aller Geschmacksrichtungen ausschlaggebend zwischen „na ja“ und „wow“.
Was fehlt noch? Klar, ein paar Ideen, auf denen du das Ganze aufbauen und nach deinem Gusto weiterentwickeln kannst.
Cicchetti-Inspirationen – Miniaturen mit Charakter

Crostini mit weißen Bohnen, Rosmarinöl und Fenchelsamen
Cremig, erdig, harzig, leicht anisartig – wie ein Spaziergang durch einen Mittelmeerkräutergarten.
Zutaten
Brot, weiße Bohnen, Olivenöl, Zitronensaft, Knoblauch, Rosmarin, Fenchel
Zubereitung
Weiße Bohnen werden mit etwas Olivenöl, Zitronensaft und einer kleinen Prise Knoblauch zu einer weichen Creme verarbeitet. Die Basis kommt auf geröstetes Brot. Darüber träufelst du Öl, das du zuvor mit frischem Rosmarin leicht angewärmt hast, und streust ein paar angeröstete Fenchelsamen darüber.
Polenta mit gegrillter Zucchini, Zitronenabrieb und Dill
Grün, zartbitter, frisch, leicht herb – ein Sommerabend im Gemüsegarten.
Zutaten
Polenta, Zucchini, Zitronensaft, Zitronenabrieb, Dill
Zubereitung
Polenta wird fest gekocht, abgekühlt, in Scheiben geschnitten und kurz in der Pfanne gebraten. Darauf legst du dünne Scheiben von gegrillter Zucchini, beträufelst sie mit etwas Zitronensaft und bestreust das Ganze mit frisch geriebenem Zitronenabrieb und gehacktem Dill.
Brot mit mariniertem Fenchel, Orangenzeste und gerösteten Walnüssen
Knackig, herb-süß, nussig, mit feiner Zitrusfrische – erinnert an Aperitif-Stimmung unter Orangenbäumen.
Zutaten
Sauerteigbrot, Fenchel, Apfelessig, Orangensaft, Salz, Zucker, Walnüsse, frische Orangenschale
Zubereitung
Fenchel wird hauchdünn gehobelt und mit etwas Apfelessig, Orangensaft, Salz und Zucker mariniert. Nach ein paar Stunden ist er weich, aber noch knackig. Du legst ihn auf eine dünne Scheibe Sauerteigbrot, gibst ein paar geröstete Walnüsse darüber und reibst frische Orangenschale über alles.
Cicchetti: lieber essen als machen? Auch okay.

Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber mich hat, je länger ich an diesem Artikel schreibe, je öfter ich ihn lese und je mehr ich mich in der Küche mit Cicchetti sehe, ein wenig das Gefühl beschlichen, dass Cicchetti vielleicht doch nichts für meinen Alltag sind.
So viel Mini, so viel Mühe. Natürlich kann ich mir Cicchetti schönreden – als Alltagsstrategie, als Restegourmet, als Baukasten für meine aromatische Selbstverwirklichung. Aber die Realität steht oft mit fettigen Fingern daneben und zieht skeptisch die Augenbraue hoch.
Zum einen: Sie brauchen Vorbereitung, und zwar nicht im Sinn von „Ich schneid mal schnell was“. Für viele beginnt an diesem Punkt bereits die erste Zutat zu fehlen: Zeit. Oder Geduld. Oder der Wille, diese Paprika jetzt zu rösten, obwohl man eigentlich nur schnell was essen will.
Dann die Sache mit dem Equipment: Man braucht zwar keine Spezialgeräte, aber durchaus ein bisschen Infrastruktur, um alles vor- und zuzubereiten. Und spätestens beim Gedanken an das Aufräumen des Küchenchaos verflüchtigt sich der venezianische Zauber bei mir schnell…
Auch das Publikum spielt eine Rolle: Für eine spontane Mittwochabend-Fütterung der hungrigen Familie sind Cicchetti eher eine schlechte Idee. Niemand will nach dem dritten Bissen gefragt werden, wo denn das Essen bleibt.
Und schließlich: Der Aufwand steht oft in keiner Relation zum Ertrag – es sei denn, man liebt wirklich jede Minute in der Küche, und zwar auch die, in der man überlegt, wie man die zwei restlichen Petersilienstiele würdig verwerten kann.
Kurz: Cicchetti sind fantastisch. Aber sie sind ein wenig wie Origami – elegant, klein und beeindruckend, solange jemand anders sie gemacht hat.
Aber für den Alltag taugen sie nur, wenn der Alltag freiwillig mitspielt. Und das tut er – bei mir zumindest – eher selten.
Kein Sorge: für alle, die trotzdem nicht locker lassen wollen, gibt es dann doch noch ein paar Tricks …
Cicchetti-Vibe für den Alltag – ohne großes Theater, aber mit Geschmack


1. Aufstrich-Upgrade statt Sandwich-Einheitsbrei
Statt immer nur Hummus: mal Linsen mit Rosmarin und geröstetem Knoblauch, weiße Bohnen mit Zitronenschale oder Möhren mit Kreuzkümmel.
Cicchetti-Vibe: Cremig, aromatisch, unerwartet.
2. Schneidebrett statt Gedeck
Keine Lust auf Kochen? Einfach ein paar Kleinigkeiten (auch Reste) anrichten: Brot, eingelegtes Gemüse, Oliven, vielleicht ein kleiner Dip.
Cicchetti-Vibe: Vielfalt in Minimalgröße.
3. Meal-Prep als Baukasten denken
Zwei Aufstriche, ein eingelegtes Gemüse oder ein gegarter Rest: unter der Woche immer neu kombinierbar – auch im Stehen, direkt aus dem Glas.
Cicchetti-Vibe: Aus wenig wird vieles.
4. Gewürzöle als Joker
Zitronenzeste, Rosmarin, Chili oder Lorbeer in Olivenöl geben – hält ewig und bringt Aromentiefe ohne Kochen.
Cicchetti-Vibe: Geschmack im Vorbeigehen.
5. Reste als Highlight inszenieren
Kalte Polenta? Braten und toppen. Übriggebliebene Linsensuppe? Wird Brotaufstrich. Brokkoliröschen? Belag deluxe.
Cicchetti-Vibe: Anti-Foodwaste mit System.
6. Miniportionen testweise nebeneinander stellen
Muss kein Menü sein – aber drei kleine Dinge auf dem Teller machen auch Alltagsessen spannend: ein Dip, ein Salat, ein Brot mit Belag.
Cicchetti-Vibe: Neugier schlägt Sattmacher.
7. Kräuterreste sinnvoll verwerten statt verwelken lassen
Petersilie + Zitrone + Öl oder Schnittlauch + Chili +Öl = frischer Dip. Oder einfrieren als Würfel.
Cicchetti-Vibe: Geschmack aus dem Fenster(brett).
Fazit: Cicchetti als Prinzip – nicht als Pflichtprogramm

Manchmal ist die ehrlichste Küchenerkenntnis: Es schmeckt super – solange es jemand anders zubereitet hat. Und genau da dürfen Cicchetti auch einfach bleiben: als das, was man auf Reisen genießt, auf Partys bewundert oder aus der Theke im Bacaro auswählt.
Nicht jedes kulinarische Konzept muss sich in den Alltag zwingen lassen. Manche dürfen einfach hübsch bleiben. Lecker. Und leicht überambitioniert.
Aber – wir können für unsere Alltagsküche den ein oder anderen Ansatz abschauen und es uns einfach lecker zurechtmachen.
Vielleicht ist der Schlüssel gar nicht, Cicchetti zu machen, sondern ein bisschen wie Cicchetti zu denken: aromatisch, flexibel, aber eben auch klein im Aufwand, und groß im Ergebnis.
Nicht als Wochenaufgabe, sondern als gelegentliche Idee – ein Brotbelag, der ein bisschen raffinierter ist. Eine Reste-Kombination, die plötzlich nach Foodboard klingt. Ein Glas eingelegte Karotten, das still und heimlich jede Stulle adelt.
Und vielleicht liegt genau darin der Reiz: Cicchetti als kulinarischer Ausnahmezustand. Klein, charmant, ein bisschen umständlich – wie ein guter Ausflug.
Wie man in Venedig sagt:
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