Wie reist eine Nudel? Teil II: In 80 Tagen um die Welt …

03.03.2025
Beitragsbild Reise der Nudel Teil II: Tempeldach China

Wir wissen, dass der Mythos, Marco Polo hätte die Nudel nach Italien gebracht, mehr als nur unwahrscheinlich ist. Essen wandert nicht in der Tasche eines Reisenden – es bewegt sich mit Handelsströmen, mit Kriegen, mit Migration, mit dem ständigen Austausch zwischen Kulturen.

In Teil I hat sich alles um Marco Polo und den Ursprung der Nudel gedreht. In Teil II klären wir jetzt, wie eine Nudel reisen kann – und wohin.

 

Das Erfolgsrezept kulinarischer Global Player

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Hat Marco Polo die Nudel nach Italien gebracht? Nein. Haben die Venezianer sie von den Chinesen „geklaut“? Nein. Auch wenn der Fund in Lajia beweist, dass Nudeln in China schon lange existierten.

Heißt das, dass es gar keinen Zusammenhang gibt? Die Antwort ist – wie so oft – komplizierter.

Wenn man sich ansieht, wie Essen wirklich reist, dann funktioniert es nicht wie ein Souvenir, das ein Abenteurer aus fernen Ländern mitbringt. Ein Rezept oder eine Zutat setzen sich nicht einfach durch, weil ein einzelner Mensch sie irgendwo aufgeschnappt hat.

Also – nicht in 80 Tagen um die Welt – sorry.

Die Nudel als globaler Mitreisender

Nudeln sind ein fantastisches Beispiel dafür, wie sich kulinarische Ideen über Jahrhunderte hinweg parallel entwickeln, verändern und anpassen.

Die Fakten aus Teil I des Artikels: In China wurden Nudeln schon vor 4.000 Jahren gegessen. In der islamischen Welt tauchten sie als itriyya auf, eine Art getrocknete Fadennudel, die über arabische Händler ins Mittelmeer gelangte. In der Antike gab es in Rom laganum, eine frühe Version von Lasagne. Und in Venedig, einem Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident, waren exotische Zutaten und neue Ideen aus aller Welt ohnehin Teil des täglichen Lebens.

Gibt es eine direkte Verbindung zwischen chinesischen und italienischen Nudeln? Wahrscheinlich nicht im Sinne einer direkten Übernahme – aber sehr wohl im Sinne eines weltweiten Netzwerks aus Menschen, die einander inspirieren, Zutaten tauschen und neue Wege finden, Essen haltbarer, nahrhafter oder leckerer zu machen.

Warum Essen sich verändert – und warum das gut so ist

Essen reist nicht nur, es verändert sich dabei auch ständig. Kein Gericht bleibt über Jahrhunderte unverändert – und das ist ein Grund zur Freude, kein Anlass für Purismus.

Denk an Tomaten in der italienischen Küche – heute undenkbar ohne, aber vor der Entdeckung Amerikas in Europa völlig unbekannt. Oder an Chili in China und Indien, das erst durch den Seehandel mit Portugal dorthin gelangte. Oder an Kaffee, der von Äthiopien über die Araber nach Venedig kam und dort den Grundstein für die italienische Espressokultur legte.

Und Nudeln? Sie sind kein rein chinesisches, kein rein italienisches, kein arabisches oder persisches Produkt. Sie sind das, was sie heute sind, weil Menschen über Jahrtausende gekocht, probiert, gehandelt und improvisiert haben. Weil Rezepte nicht an Ländergrenzen Halt machen, sondern dort weiterentwickelt werden, wo Menschen sie annehmen und für sich passend machen.

Kein Seesack, kein einzelner Held – Essen reist anders

Vergiss den einen kühnen Entdecker, der mit einer Truhe voller exotischer Zutaten zurückkehrt und eine ganze Küche revolutioniert. So funktioniert das nicht.

Essen reist nicht in einem einzigen Moment, mit einem einzigen Menschen oder durch eine einzige große Entdeckung. Essen bewegt sich langsam, oft unauffällig, durch Händler, Migranten, Kriege, Eroberungen – und durch pures menschliches Bedürfnis nach Abwechslung und Genuss.

Auch wenn wir heute den neuesten Food-Trend aus Korea in Echtzeit mitmachen können, oder den Hype um ein „neues“ Obst oder Gemüse sofort serviert bekommen – es bleibt dabei: Bis sich ein Trend verankert, muss er von vielen Menschen über einen längeren Zeitraum eingeführt werden. Sonst ist er passé. Heute schneller denn je (Das kann dann auch in den 80 Tagen klappen – just sayin’).

Und genau deshalb ist die Vorstellung, Marco Polo habe die Nudel nach Italien gebracht, so absurd. Die Nudel, wie wir sie heute kennen, ist kein Souvenir, sondern das Ergebnis von Jahrhunderten kulinarischen Austauschs.

 

Der Weg ist das Ziel

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1. Handel: Der Food Highway der Geschichte

Handel war schon immer die wichtigste Möglichkeit, mit neuen Zutaten und Rezepten in Berührung zu kommen. Große Handelswege wie die Seidenstraße oder die maritimen Routen des Mittelmeers waren nichts anderes als essbare Datenautobahnen – lange bevor es Google gab.

Beispiele?

  • Gewürze aus Südostasien landeten im antiken Rom. Pfeffer aus Indien wurde im 1. Jahrhundert n. Chr. massenhaft nach Europa verschifft.
  • Auberginen, Spinat und Zitrusfrüchte kamen mit arabischen Händlern nach Spanien. Die Mauren brachten im Mittelalter diese und viele andere Zutaten mit, die heute als typisch mediterran gelten.
  • Kaffee reiste von Äthiopien über Arabien bis nach Europa. Ohne die Handelsnetze des Osmanischen Reichs wäre die Wiener Kaffeehauskultur nie entstanden.

Und Nudeln?

Die ältesten Belege für trockene Teigwaren finden sich in arabischen Quellen des 9. Jahrhunderts. Arabische Händler könnten diese Technik nach Sizilien gebracht haben – lange bevor Marco Polo aus China zurückkam.

Handel sorgt dafür, dass Zutaten und Kochtechniken langsam über Regionen hinweg migrieren. Aber damit allein reicht es nicht.

2. Migration: Menschen nehmen Essen mit – und passen es an

Wenn Menschen reisen oder auswandern, nehmen sie ihre Geschmäcker mit. Sie bringen ihre Zutaten, ihre Rezepte und ihre Art zu kochen – und dann passiert das Interessante:

Sie passen ihre Küche an die neuen Gegebenheiten an.

  • Die Tomate kam aus Amerika nach Europa – und wurde in Italien zur Ikone. Ursprünglich hielten die Europäer sie einfach nur für giftig. Später fand man heraus, dass sie hervorragend zu Pasta passt und sie wurde zum Star.
  • Chilis kamen aus Südamerika nach Indien, China und Thailand – und sind heute aus diesen Küchen nicht mehr wegzudenken. Ohne die portugiesischen Seefahrer gäbe es kein indisches Vindaloo oder thailändisches Som Tam mit scharfem Chili.
  • Döner, Pizza und Sushi wurden durch Migration global. Viele „deutsche“ Dönerläden sind von türkischen Einwanderern gegründet worden. Pizza wurde von italienischen Migranten in die USA gebracht – und in New York und Chicago weiterentwickelt. Sushi wurde durch japanische Einwanderer populär, die in Kalifornien die ersten Inside-Out-Rolls erfanden.

Das zeigt: Essen bleibt nicht unverändert. Es entwickelt sich dort weiter, wo Menschen es hinbringen.

Und genau das könnte auch mit Nudeln passiert sein. Vielleicht brachten arabische Händler eine Art getrockneter Teigwaren nach Italien – wo sie unter den klimatischen Bedingungen und mit den lokalen Zutaten zu Pasta weiterentwickelt wurden.

3. Eroberungen und Kriege: Essen als „Beutekultur“

Klingt brutal, aber oft wurden neue Zutaten und Kochtechniken durch militärische Konflikte verbreitet.

  • Die Römer eroberten Griechenland – und übernahmen deren kulinarische Techniken. Sie machten die griechische Kochkunst zur Grundlage ihrer eigenen feinen Küche.
  • Die Mongolen brachten in ihrer Eroberungszeit Lebensmitteltechniken nach Persien, Russland und sogar Europa. Sie verbreiteten zum Beispiel fermentierte Milchprodukte wie Kefir und hatten möglicherweise Einfluss auf das Kochen mit Nudeln.
  • Die Spanier eroberten Mittel- und Südamerika – und brachten Mais, Kartoffeln und Kakao nach Europa. Ohne diesen erzwungenen Austausch gäbe es in Europa heute weder Pommes noch Schokolade.

Die Frage ist: War es auch so mit den Nudeln?

Möglich. Es gibt Theorien, dass die Mongolen eine Rolle bei der Verbreitung von Nudeln gespielt haben könnten. Als ihre Reiche im 13. Jahrhundert von China bis Osteuropa reichten, könnten sie asiatische Nudelkulturen mitgebracht haben. Beweisen lässt sich das aber nicht.

4. Zufälle, Experimente und lokale Anpassungen

Manchmal entstehen neue Gerichte nicht durch einen geplanten Transfer, sondern durch puren Zufall oder Experimentierfreude.

  • Sauerkraut wurde in China aus fermentiertem Kohl entwickelt – und dann durch die Mongolen nach Europa gebracht.
  • Käseherstellung wurde angeblich durch einen Hirten entdeckt, der Milch in einem Schafsmagen transportierte – wo das Lab die Milch gerinnen ließ.
  • Crêpes Suzette soll entstanden sein, als ein Lehrling aus Versehen zu viel Orangenlikör in die Pfanne kippte.

Auch Nudeln könnten an mehreren Orten der Welt unabhängig voneinander erfunden worden sein. Besser gesagt: entstanden sein. Schließlich braucht man nur Mehl und Wasser, um auf die Idee zu kommen, Teig in Streifen zu formen und zu kochen.

 

Das Missverständnis der „Erfindung“

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Wir lieben es, klare Erfinder für Dinge zu benennen. Aber Essen ist kein Smartphone oder eine Glühbirne – es ist ein fließender Prozess. Es gibt nicht den einen Moment, in dem jemand die Nudel „erfunden“ hat.

Was wir wissen:

  • Die ältesten bekannten Nudeln stammen aus China.
  • Ähnliche Teigwaren gab es auch in anderen Kulturen, lange bevor Marco Polo lebte.
  • Essen reist nicht durch einzelne Helden, sondern durch Handel, Migration, Kriege und Zufall.

Essen ist kein stiller Beobachter der Geschichte – es ist ihr unermüdlicher Mitreisender.

 

Fazit: Essen gehört niemandem – und allen zugleich

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Nudeln gehören nicht „China“ oder „Italien“. Genau wie Kartoffeln nicht „deutsch“ sind und Kaffee nicht „französisch“.

Essen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme. Es ist Identität, Geschichte, Kultur und Emotion in einem.

Essen bewegt sich in Koffern und Laderäumen, in den Händen von Händlern und Migranten, es verändert sich mit jeder neuen Küche, die es aufnimmt.

Essen ist ein globales Gemeinschaftsprojekt. Zutaten, Rezepte und Kochtechniken überschreiten ständig Grenzen – und am Ende zählt nur eins: Schmeckt’s oder nicht?

Vielleicht, wenn du das nächste Mal vor einer leckeren Schüssel Pasta sitzt, stellst du dir vor, wie viele Jahrhunderte, Kulturen und Zufälle zusammenkommen mussten, damit sie genau so schmeckt, wie sie heute schmeckt.

Ziemlich beeindruckend, oder?

 

Pasta la vista!

 

PS:

Was übrigens nicht aus China gekommen sein kann, ist der geriebene Käse auf der Pasta: Chinesen leben jenseits der Milchgrenze und nehmen (normalerweise) keine Milchprodukte zu sich, da sie meist laktoseintolerant sind.

Hier geht’s zu Teil I: Marco Polo – obwohl alles ganz anders ist …

Let’s schnack

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